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Reisen verändert die Wahrnehmung.

Petra Thomas ist Geschäftsführerin des forum anders reisen e.V. dem Verband für nachhaltigen Tourismus.

Das forum anders reisen e.V. ist ein Zusammenschluss von Reiseunternehmen, die sich dem nachhaltigen Tourismus verpflichtet haben. Gemeinsam stellen sie sich der Verantwortung für wirtschaftliche und soziale Entwicklung hier und in den Reiseländern. Der Verein wurde 1998 gegründet und hat inzwischen ca. 130 Mitglieder.

Inwieweit ist das eigene Reisen politisch?

Thomas: Reisen beruht auf unseren eigenen Entscheidungen und Wünschen. Bei jeder Reise haben wir ganz persönlich die Wahl des Urlaubslandes, die Planung der Unterkunft, der Anreise und Transporte der Verpflegung und etwa die Entscheidung über die Aktivitäten vor Ort in der eigenen Hand. Damit beeinflussen wir auf persönlicher Ebene, wo unser Reisebudget hinfließt, wen wir damit unterstützen, ob ein staatliches Regime oder eine kleine privatwirtschaftliche Initiative. Auch beeinflussen wir durch unsere Begegnungen und Gespräche im Urlaubsland, in welcher Region wir zu einem interkulturellen Austausch beitragen oder zivilgesellschaftliche Initiativen stärken. Reisende wirken dabei in beide Richtungen: Sie erfahren unterwegs viel über ihr Gastgeberland und tragen dies zurück mit nach Hause. Das erweitert nicht nur den eigenen Horizont. Ebenso bringen Reisende ihre Gedanken und Ideen in das Gastland. Dieser Austausch lässt uns andere Kulturen verstehen.

Wie kann man Nachhaltigkeit und Tourismus miteinander vereinbaren?

Thomas: Damit sich Nachhaltigkeit und Tourismus miteinander vereinbaren lassen, kommt es auf die Art und Wese an, wie Tourismus gestaltet wird. Tourismus ist eine ressourcenintensive Branche: Neben Energie und Wasser verbraucht der Urlaub zusätzliche Flächen für Hotels, Pools, Golfanlagen und Infrastruktur und dies oft konzentriert an den schönsten Plätzen des Landes, etwa an Küsten oder attraktiven Kulturstätten. Auch erhöhen sich Abfallaufkommen und durch Mobilität verursachte Emissionen in den Urlaubsregionen. Daher bedarf es eines sinnvollen Einsatzes aller Ressourcen – insbesondere in Regionen, wo beispielsweise Wasser ohnehin knapp ist, darf der Tourismus nur mit Rücksicht auf die lokale Bevölkerung agieren und nicht zu einer Verschärfung der Knappheit führen. Hier ist ein verantwortliches Management von Ressourcen gefragt, das die Bedürfnisse von Gästen und lokalen Bewohnern gleichermaßen berücksichtigt.

Ein nachhaltig gestalteter Tourismus kann zudem helfen, regionale wirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Strukturen in den Zielgebieten zu fördern. Etwa durch Einkauf regionaler Produkte und Lebensmittel. Dabei geht es um partnerschaftliches und faires Wirtschaften miteinander. Es werden Arbeitsplätze und Einnahmemöglichkeiten geschaffen. Durch das Interesse der Reisenden an einer intakten Natur findet eine Inwertsetzung der lokalen Flora und Fauna statt. So werden diese als schützenswert erkannt. Dadurch kann Tourismus einen Beitrag zum Natur- und Tierschutz, also etwa zum Erhalt von Biodiversität, leisten. Ein nachhaltiger Veranstalter wird seine Gäste vorab über sensibles und respektvolles Verhalten informieren oder ihnen einen qualifizierten Begleiter, ob Naturpark-Ranger, Wanderguide oder klassischen Reiseleiter, an die Seite stellen. Dies alles gilt ebenso in kultureller Hinsicht, denn auch historische Stätten oder religiöse Monumente können durch die Einnahmen eines gut gestalteten Tourismus nicht nur erhalten werden, sondern weiterhin als Zeitzeugen ihre „Geschichte erzählen“.

Allein das Thema Mobilität im Tourismus stellt in Bezug auf Umweltverträglichkeit einen begrenzenden Faktor dar. Insbesondere Flüge tragen durch klimaschädliche Emissionen zum Klimawandel bei. Daher empfehlen wir vom forum anders reisen überall dort, wo eine Überlandreise gut machbar ist (mindestens auf Distanzen bis 800 Kilometern), erdgebundene Transporte mit Bahn oder Bus zu bevorzugen und Flüge nur für weiter entfernte Ziele zu nutzen. Unsere Faustregel dafür ist: Je weiter weg eine Destination ist, desto länger sollte man vor Ort bleiben, um Emissionen, Energieverbrauch und Reisedauer in ein besseres Verhältnis zu setzen. Und wenn man fliegt, kann jeder Einzelne die entstandenen Emissionen seines Urlaubsfluges durch einen Klimaschutzbeitrag für ein Energieprojekt ausgleichen. Dafür haben wir 2003 gemeinsam mit German Watch und dem Bundesumweltministerium die Klimaschutzorganisation atmosfair gegründet.

Wie hat das Augenmerk auf Nachhaltigkeit ihr eigenes Reiseverhalten verändert?

Thomas: Durch meine Reisen habe ich Einblicke in die verschiedensten Kulturen und Lebensweisen erhalten. Oft hat mich insbesondere die einfache Lebensweise beeindruckt und mich zur Reflexion über all die Dinge geführt, die mir zu Hause zur Verfügung stehen. Generell verändert sich durch Reisen für mich die Wahrnehmung für den eigenen Alltag. Für meine privaten Reisen achte ich viel mehr auf die Details meiner Reise: Woher kommt mein Essen? Wer hat es produziert? Ist es traditionell? Bei der Auswahl der Unterkünfte sind mir Sterne-Klassifizierung weniger wichtig als die persönliche Atmosphäre eines Hauses, die typische Architektur und die Gestaltung der Zimmer. Und wer sind die Gastgeber selbst, die das Haus leiten? Was ist ihre Vision für die Bewirtung von Gästen, für die Umwelt und das eigene Team? Und ich bin neugierig auf die Menschen, denen ich begegne, auf ihre Geschichten. Das sind oft die schönsten Momente meiner Reisen, die unverhofft kommen und lang in Erinnerung bleiben. Auch nehme ich viel häufiger die Bahn – hier in Europa „erfahre“ ich mir die Strecken und freue mich über die Ankunft in alten Bahnhöfen mit ihrem Flair der Geschichte. Es lässt sich so viel Neues auch in der Nähe entdecken – manchmal direkt vor der eigenen Haustür.

 

Bild: ©Candybox Images, Dreamstime.com – lizensiert für forum anders reisen